Zu dem angesprochenen Verkehr, aus dessen Sicht zu beurteilen ist, ob ein Produkt wettbewerbliche Eigenart hat, gehören nicht nur die Endabnehmer, sondern auch die Abnehmer des Produkts auf vorangegangenen Vertriebsstufen.

Ein ehemals patentrechtlich geschütztes Element eines Erzeugnisses kann diesem wettbewerbliche Eigenart verleihen, wenn die konkrete Gestaltung dieses Elements technisch nicht zwingend notwendig ist, sondern durch eine frei wählbare und austauschbare Gestaltung, die denselben technischen Zweck erfüllt, ersetzt werden kann, ohne dass damit Qualitätseinbußen verbunden sind.
Einem Wettbewerber ist es grundsätzlich nicht zuzumuten, auf die Übernahme von Merkmalen des Produkts eines Mitbewerbers, die dem freien Stand der Technik angehören und der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen, zu verzichten, um die Gefahr einer Herkunftstäuschung oder Rufausnutzung zu vermeiden. Würde die Übernahme solcher Merkmale allerdings zu einer (nahezu) identischen Nachahmung des Produkts führen, ist von einem Wettbewerber regelmäßig zu verlangen, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn er der Gefahr einer Herkunftstäuschung oder Rufausnutzung nicht auf andere Weise etwa durch eine (unterscheidende) Kennzeichnung seiner Produkte – entgegenwirken kann.
Der Vertrieb einer Nachahmung kann nach § 4 Nr. 9 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände – wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UWG) oder eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UWG) – hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen
- dem Grad der wettbewerblichen Eigenart,
- der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie
- den besonderen wettbewerblichen Umständen.
Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt [1].
Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen [2].
Ein Erzeugnis hat keine wettbewerbliche Eigenart, wenn der angesprochene Verkehr die prägenden Gestaltungsmerkmale des Erzeugnisses nicht (mehr) einem bestimmten Hersteller oder einer bestimmten Ware zuordnet [3]. Für die wettbewerbliche Eigenart kommt es zwar nicht darauf an, ob der Verkehr den Hersteller der Ware namentlich kennt; erforderlich ist aber, dass der Verkehr annimmt, die Ware stamme von einem bestimmten Hersteller, wie auch immer dieser heißen möge, oder sei von einem mit diesem verbundenen Unternehmen in Verkehr gebracht worden [4].
Werden die Produkte eines Herstellers in großem Umfang von verschiedenen Unternehmen jeweils unter eigener Kennzeichnung vertrieben, kann dies zwar dazu führen, dass ihre konkrete Gestaltung nicht geeignet ist, die angesprochenen Verkehrskreise auf einen bestimmten Hersteller hinzuweisen und damit ihre wettbewerbliche Eigenart zu begründen [5]. Hierbei sind jedoch Feststellung dazu erforderlich, ob die Abnehmer die von den Großabnehmern beim Weitervertrieb verwendeten Kennzeichnungen als Herstellerangaben oder als Handelsmarken angesehen haben [6]. Im letzteren Fall stünde der Umstand, dass die Produkte von verschiedenen Großabnehmern unter eigenen Namen und Marken weitervertrieben worden sind, nicht der Annahme entgegen, dass der angesprochene Verkehr in der Form dieser Produkte einen Hinweis auf ihre Herkunft von einem bestimmten Hersteller sieht.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass zu dem angesprochenen Verkehr nicht nur die Endabnehmer, sondern auch die Abnehmer eines Produkts auf vorangegangenen Vertriebsstufen zählen. Zu dem angesprochenen Verkehr gehören im Streitfall daher auch die Großabnehmer.
Für die Beurteilung, ob technisch bedingte Merkmale einem Erzeugnis wettbewerbliche Eigenart verleihen, gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgende Grundsätze [7]:
Technisch notwendige Merkmale – also solche, die bei gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen – können aus Rechtsgründen keine wettbewerbliche Eigenart begründen. Die Übernahme solcher – nicht oder nicht mehr unter Sonderrechtsschutz stehender – Gestaltungsmerkmale ist mit Rücksicht auf den Grundsatz des freien Stands der Technik wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden.
Handelt es sich dagegen nicht um technisch notwendige Merkmale, sondern nur um solche, die zwar technisch bedingt, aber frei austauschbar sind, ohne dass damit Qualitätseinbußen verbunden sind, können sie eine wettbewerbliche Eigenart (mit)begründen, sofern der Verkehr wegen dieser Merkmale auf die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten Unternehmen Wert legt oder mit ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbindet.
Daneben kann eine Kombination einzelner technischer Gestaltungsmerkmale wettbewerbliche Eigenart begründen, selbst wenn die einzelnen Merkmale für sich genommen nicht geeignet sind, im Verkehr auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen. Entsprechendes gilt für eine Kombination technischer und ästhetischer Merkmale der Formgestaltung. Sie kann gleichfalls die wettbewerbliche Eigenart eines Erzeugnisses begründen, selbst wenn die einzelnen Merkmale für sich genommen nicht geeignet sind, als Herkunftshinweis zu dienen.
Auch einem patentgeschützten Erzeugnis kann nach dem Auslaufen des Patentschutzes wettbewerbliche Eigenart zukommen [8]. Dabei darf aber nicht angenommen werden, angenommen, weil der abgelaufene Patentschutz nicht über das Wettbewerbsrecht verlängert werden dürfe, könnten nur solche Merkmale eines derartigen Erzeugnisses einen wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz begründen, die von der patentierten technischen Lösung unabhängig seien [9].
Unter dem Gesichtspunkt, den nach Ablauf eines Sonderrechtsschutzes freien Stand der Technik für den Wettbewerb offenzuhalten, besteht keine Veranlassung; vom abgelaufenen Sonderrechtsschutz erfassten, technisch bedingten Merkmalen eines Erzeugnisses aus Rechtsgründen von vornherein die Eignung abzusprechen, auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen und dem Erzeugnis damit wettbewerbliche Eigenart zu verleihen. Der lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz ist nach Schutzzweck, Voraussetzungen und Rechtsfolgen anders als die Sonderschutzrechte ausgestaltet. Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz wegen der Verwertung eines fremden Leistungsergebnisses können unabhängig vom Bestehen von Ansprüchen aus einem Schutzrecht gegeben sein, wenn besondere Begleitumstände vorliegen, die außerhalb des sondergesetzlichen Tatbestands liegen [10].
Auch ein ehemals patentrechtlich geschütztes Element eines Erzeugnisses kann diesem daher wettbewerbliche Eigenart verleihen, wenn die konkrete Gestaltung dieses Elements technisch nicht notwendig ist, sondern durch eine frei wählbare und austauschbare Gestaltung, die denselben technischen Zweck erfüllt, ersetzt werden kann, ohne dass damit Qualitätseinbußen verbunden sind.
Technisch nicht notwendige, sondern technisch lediglich bedingte, aber ohne Qualitätseinbußen frei austauschbare Gestaltungsmerkmale können eine wettbewerbliche Eigenart (mit)begründen, sofern der Verkehr wegen dieser Merkmale auf die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten Unternehmen Wert legt oder mit ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbindet.
Für die Beurteilung der wettbewerblichen Eigenart eines nachgeahmten Erzeugnisses ist sein Gesamteindruck maßgebend. Dieser Gesamteindruck kann durch technische Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die zwar nicht für sich genommen, aber in ihrer Kombination geeignet sind, im Verkehr auf die Herkunft des nachgeahmten Erzeugnisses aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen [11].
getroffen. Der Grad der wettbewerblichen Eigenart eines Produkts kann durch seine tatsächliche Bekanntheit im Verkehr verstärkt werden [12].
Eine Herkunftstäuschung ist vermeidbar, wenn sie durch geeignete und zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. Ob und welche Maßnahmen Wettbewerbern zur Verhinderung einer Herkunftstäuschung zugemutet werden können, ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen. Bei dieser Abwägung sind unter anderem das Interesse des Herstellers des Originalerzeugnisses an der Vermeidung einer Herkunftstäuschung, das Interesse der Wettbewerber an der Nutzung nicht unter Sonderrechtsschutz stehender Gestaltungselemente sowie das Interesse der Abnehmer an einem Preis- und Leistungswettbewerb zwischen unterschiedlichen Anbietern zu berücksichtigen [13].
Dabei ist zu beachten, dass es Wettbewerbern mit Rücksicht auf ästhetische Gestaltungsmerkmale des Originalerzeugnisses, mit denen die angesprochenen Verkehrskreise Herkunftsvorstellungen verbinden, in aller Regel möglich und zumutbar ist, auf andere Gestaltungsformen auszuweichen, um einen ausreichenden Abstand zum Original zu wahren [14].
Dagegen kann die Übernahme von Merkmalen, die mangels Sonderrechtsschutzes dem freizuhaltenden Stand der Technik angehören und unter Berücksichtigung des Gebrauchszwecks, der Verkäuflichkeit der Ware sowie der Verbrauchererwartung der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen, grundsätzlich nicht als wettbewerbsrechtlich unlauter angesehen werden. Wettbewerbern ist es regelmäßig nicht zuzumuten, auf eine angemessene technische Lösung zu verzichten, um die Gefahr einer Herkunftstäuschung zu vermeiden. Dagegen kann es ihnen zuzumuten sein, dieser Gefahr durch eine (unterscheidende) Kennzeichnung ihrer Produkte entgegenzuwirken [15].
Bei einer (nahezu) identischen Nachahmung gilt allerdings im Hinblick auf die Zulässigkeit der Übernahme von Merkmalen, die dem freien Stand der Technik angehören und der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen, ein strengerer Maßstab als bei einem geringeren Grad der Übernahme [16]. Bei einer (nahezu) identischen Übernahme kann sich der Nachahmer grundsätzlich nicht darauf berufen, er habe lediglich eine nicht unter Sonderrechtsschutz stehende angemessene technische Lösung übernommen [17]. Würde die Übernahme solcher Merkmale zu einer (nahezu) identischen Nachahmung führen, ist es einem Wettbewerber regelmäßig zuzumuten, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn er der Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht auf andere Weise – etwa durch eine (unterscheidende) Kennzeichnung seiner Produkte – entgegenwirken kann.
Entsprechendes gilt für die Unangemessenheit einer Rufausnutzung.
Eine unlautere Rufausnutzung kann allerdings nicht nur auf einer Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise über die betriebliche Herkunft des nachahmenden Erzeugnisses, sondern auch auf einer Anlehnung an die fremde Leistung beruhen, die eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Produkte erfordert. Die Frage, ob hierdurch eine Gütevorstellung im Sinne von § 4 Nr. 9 Buchst. b UWG unangemessen ausgenutzt wird, ist jeweils im Wege einer Gesamtwürdigung zu beantworten, bei der alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts, zu berücksichtigen sind [18].
Die Übernahme von Merkmalen, die dem freizuhaltenden Stand der Technik angehören und der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen, kann zwar unter dem Gesichtspunkt der Rufausnutzung grundsätzlich nicht als wettbewerbsrechtlich unlauter angesehen werden. Auch insoweit gilt jedoch bei einer (nahezu) identischen Nachahmung ein strenger Maßstab. Würde die Übernahme solcher Merkmale zu einer (nahezu) identischen Nachahmung führen, ist es einem Wettbewerber regelmäßig zuzumuten, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn er einer Rufausnutzung nicht auf andere Weise entgegenwirken kann. So kann ein Wettbewerber, der nach Ablauf eines Patentschutzes des Originalherstellers in dessen Markt eindringt, eine Rufausbeutung etwa dadurch vermeiden, dass er die angesprochenen Verkehrskreise durch eine gegenüber dem Original unterscheidbare Kennzeichnung unmissverständlich darüber informiert, dass sich das nachgeahmte Produkt vom Original unterscheidet [18].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Januar 2015 – I ZR 107/13
- BGH, Urteil vom 28.05.2009 – I ZR 124/06, GRUR 2010, 80 Rn. 21 = WRP 2010, 94 – LIKEaBIKE; Urteil vom 24.01.2013 – I ZR 136/11, GRUR 2013, 951 Rn. 14 = WRP 2013, 1188 Regalsystem; Urteil vom 17.07.2013 – I ZR 21/12, GRUR 2013, 1052 Rn. 15 = WRP 2013, 1339 Einkaufswagen III[↩]
- BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 23 – LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Rn.19 – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn. 18 – Einkaufswagen III[↩]
- vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 4 Rn.09.26[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2005 – I ZR 151/02, GRUR 2006, 79 Rn. 36 = WRP 2006, 75 – Jeans I; Urteil vom 24.05.2007 – I ZR 104/04, GRUR 2007, 984 Rn. 23 und 32 = WRP 2007, 1455 – Gartenliege[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2007, 984 Rn. 25 f. – Gartenliege; OLG Köln, GRUR-RR 2014, 336, 338[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2007, 984 Rn.Rn. 26 Gartenliege; Urteil vom 02.04.2009 – I ZR 144/06, GRUR 2009, 1069 Rn. 16 bis 18 = WRP 2009, 1374 Knoblauchwürste[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 27 LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Rn.19 – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn. 18 f. – Einkaufswagen III[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 28.01.1988 – I ZR 34/86, GRUR 1988, 385, 386 f. = WRP 1988, 371 – Wäsche-Kennzeichnungsbänder[↩]
- so Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4 Rn.09.77; MünchKomm-.UWG/Wiebe, 2. Aufl., § 4 Nr. 9 Rn. 42[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn.19 – LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Rn.20 – Regalsystem[↩]
- BGH, GRUR 2010, 80, Rn. 34 – LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Rn.19 – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn.19 Einkaufswagen III[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 37 – LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Rn. 27 – Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Rn. 24 – Einkaufswagen III[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2013, 951 Rn. 35 f. – Regalsystem, mwN[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2013, 951 Rn. 38 – Regalsystem[↩]
- BGH, Urteil vom 12.05.2011 – I ZR 53/10, GRUR 2012, 58 Rn. 46 Seilzirkus, mwN[↩]
- BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 27 – LIKEaBIKE; Urteil vom 22.03.2012 – I ZR 21/11, GRUR 2012, 1155 Rn. 39 = WRP 2012, 1379 – Sandmalkasten[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.01.1981 – I ZR 48/79, GRUR 1981, 517, 519 = WRP 1981, 514 – Rollhocker; Urteil vom 17.06.1999 – I ZR 213/96, GRUR 1999, 1106, 1108 = WRP 1999, 1031 Rollstuhlnachbau; Urteil vom 12.07.2001 – I ZR 40/99, GRUR 2002, 86, 90 = WRP 2001, 1294 – Laubhefter; BGH, GRUR 2007, 984 Rn. 35 f. – Gartenliege; BGH, Urteil vom 02.04.2009 – I ZR 199/06, GRUR 2009, 1073 Rn. 15 = WRP 2009, 1372 – Ausbeinmesser[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 38 – Einkaufswagen III, mwN[↩][↩]