“Fond Memories” – die neue Rebsorte und der Sortenschutz

§ 6 Abs. 1 SortG ist mangels einer einheitlichen Regelung über eine kürzere Frist innerhalb der Europäischen Union dahin auszulegen, dass eine Sorte als neu gilt, wenn Pflanzen oder Pflanzenteile der Sorte mit Zustimmung des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers vor dem Antragstag nicht oder nur innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr im Inland oder von vier Jahren (bei Reben und Baumarten sechs Jahren) im Ausland zu gewerblichen Zwecken an andere abgegeben worden sind.

“Fond Memories” – die neue Rebsorte und der Sortenschutz

Die Erteilung von Sortenschutz setzt nach § 1 Abs. 1 SortG voraus, dass die Sorte neu ist. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SortG gilt eine Sorte nur dann als neu, wenn Pflanzen oder Pflanzenteile mit Zustimmung des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers vor dem Antragstag nicht oder nur innerhalb eines Jahres innerhalb der Europäischen Union zu gewerblichen Zwecken an andere abgegeben worden sind. Nachdem Vermehrungsmaterial oder Erntegut der Sorte bereits am 1.06.2004 in Großbritannien zu gewerblichen Zwecken an andere abgegeben worden ist, war die Sorte am Antragstag in diesem Sinne nicht neu. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich jedoch unter Berücksichtigung des Gebots der völkerrechtskonformen Auslegung, dass § 6 Abs. 1 Nr. 1 SortG enger zu verstehen ist, als dies der Wortlaut vorzugeben scheint.

Die Neufassung von § 6 Abs. 1 SortG durch das Gesetz zur Änderung des Sortenschutzgesetzes vom 17.07.1997 sollte, wie sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfs ergibt, der Anpassung des Sortenschutzgesetzes an die neuen Regelungen des im Jahre 1991 revidierten Übereinkommens dienen.

Nach Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens wird eine Sorte als neu angesehen, wenn am Tag der Einreichung des Antrags auf Erteilung eines Züchterrechts Vermehrungsmaterial oder Erntegut der Sorte im Hoheitsgebiet der Vertragspartei, in der der Antrag eingereicht worden ist, nicht früher als ein Jahr und im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei nicht früher als vier Jahre oder im Fall von Bäumen und Reben nicht früher als sechs Jahre durch den Züchter oder mit seiner Zustimmung zum Zwecke der Auswertung der Sorte verkauft oder auf andere Weise an andere abgegeben wurde. Vertragspartei ist nach Art. 1 vii des Übereinkommens ein Vertragsstaat oder eine zwischenstaatliche Organisation, die eine Vertragsorganisation dieses Übereinkommens ist. Unter dem Hoheitsgebiet ist nach Art. 1 viii des Übereinkommens das Hoheitsgebiet eines Staates zu verstehen, wenn dieser Vertragspartei ist. Handelt es sich bei der Vertragspartei um eine zwischenstaatliche Organisation, ist damit das Hoheitsgebiet gemeint, in dem der diese zwischenstaatliche Organisation gründende Vertrag Anwendung findet. Danach ergibt sich, dass bei Einreichung eines Antrags auf Erteilung nationalen Sortenschutzes als neuheitsschädlich nach Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens nur Handlungen in Betracht kommen, die vor mehr als einem Jahr im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates stattgefunden haben. Dem Übereinkommen lässt sich nicht entnehmen, dass das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates des Übereinkommens, der zugleich Mitglied einer zwischenstaatlichen Organisation ist, die dem Übereinkommen ebenfalls beigetreten ist, abweichend von Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 viii zu bestimmen ist.

Das revidierte Übereinkommen eröffnet in Art. 6 Abs. 3 und in Art. 16 Abs. 3 die Möglichkeit, dass Vertragsparteien, die Mitgliedstaaten derselben zwischenstaatlichen Organisation sind, gemeinsam vorgehen, um hinsichtlich der Regelungen über die Neuheit einer Sorte (Art. 6 Abs. 1) oder über die Erschöpfungswirkung (Art. 16 Abs. 1) Handlungen in Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten dieser zwischenstaatlichen Organisation mit Handlungen in ihrem jeweiligen eigenen Hoheitsgebiet gleichzustellen, sofern dies die Vorschriften dieser Organisation erfordern. Diese Regelung wurde vorsorglich für den Fall in das Übereinkommen aufgenommen, dass eine zwischenstaatliche Organisation, etwa die Europäische Union, eine entsprechende Harmonisierung beschließt.

Unter Hinweis auf diese Möglichkeit hat sich der Gesetzgeber zu einer Änderung von § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SortG veranlasst gesehen. In der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes heißt es dazu: “Für den räumlichen Bereich des neuheitsschädlichen Abgebens wird im Hinblick auf Artikel 6 Abs. 3 des Übereinkommens und Artikel 10 Abs. 1 der EG-Verordnung künftig statt auf das Inland auf das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft abgestellt.”

Die hierfür nach dem revidierten Übereinkommen erforderlichen Voraussetzungen liegen jedoch derzeit nicht vor. Die unionsrechtlichen Bestimmungen enthalten derzeit keine Bestimmung, wonach bei der nationalen Anmeldung einer Sorte Handlungen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Union in Bezug auf die Neuheit Handlungen im Gebiet der Union gleichzustellen sind. Das Übereinkommen eröffnet zudem nicht die Möglichkeit, dass einzelne Mitgliedstaaten einer zwischenstaatlichen Organisation das Gebiet, das für neuheitsschädliche Handlungen maßgeblich ist, abweichend bestimmen. Nach den nationalen Sortenschutzgesetzen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stehen – soweit dem Bundesgerichtshof bekannt – nur Handlungen im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates, die vor mehr als einem Jahr erfolgten, der Neuheit der Sorte entgegen.

Nach den Vorgaben des Übereinkommens steht daher bislang eine Abgabe von Pflanzen oder Pflanzenteilen einer Sorte deren Neuheit nur dann entgegen, wenn diese Handlungen innerhalb eines Jahres vor dem Antragstag im Inland stattgefunden haben. Würde die gesetzliche Regelung in § 6 Abs. 1 SortG nach ihrem Wortlaut angewendet, hätte das eine Schlechterstellung des Züchters zur Folge, weil er in der Bundesrepublik Deutschland, anders als in anderen Staaten der Europäischen Union, keinen nationalen Sortenschutz erlangen könnte, wenn Vermehrungsmaterial oder Erntegut innerhalb eines Zeitraums von mehr als einem Jahr in einem anderen Staat der Europäischen Union durch ihn oder mit seiner Zustimmung verkauft oder in anderer Weise an andere abgegeben worden wären.

Die in dieser Fassung von § 6 Abs. 1 SortG liegende Abweichung vom Übereinkommen beruht ersichtlich auf einem Versehen des Gesetzgebers.

Aus den Materialien zum Gesetz zur Änderung des Sortenschutzgesetzes ergibt sich, dass der Gesetzgeber in der Absicht handelte, das Sortenschutzgesetz den Regelungen des revidierten Übereinkommens anzupassen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich bewusst dafür entschieden haben könnte, von den Regelungen des Übereinkommens abzuweichen.

Gegen eine solche Intention spricht insbesondere, dass in einer solchen Regelung zugleich eine Verletzung der von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen völkervertragsrechtlichen Pflicht zur Umsetzung des Übereinkommens läge. Durch den Abschluss des Übereinkommens ist die Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtung eingegangen, Züchterrechte zu erteilen und zu schützen und dabei die Vorgaben des Übereinkommens zu beachten. Der Bundestag hat dem revidierten Übereinkommen durch Gesetz vom 25.03.1998 zugestimmt. Dadurch hat das Übereinkommen innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes erhalten. Das Übereinkommen räumt den Vertragsparteien zwar teilweise Spielräume bei der Umsetzung ein, etwa in Art. 15 Abs. 2 hinsichtlich der Möglichkeit der Verwendung von Erntegut durch Landwirte. Überwiegend enthält es jedoch bindende Vorgaben, die einen einheitlichen Standard hinsichtlich der Züchterrechte in den beteiligten Staaten gewährleisten sollen. Eine solche bindende Vorgabe enthält auch Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens hinsichtlich der Anforderungen an die Neuheit einer Sorte. Bei der Umsetzung des Übereinkommens in das nationale Recht dürfen die Vertragsparteien weder geringere noch höhere Anforderungen an die Neuheit einer Sorte stellen. Die Voraussetzungen, unter denen eine abweichende Bestimmung des Hoheitsgebiets nach Art. 6 Abs. 3 des Übereinkommens zulässig ist, liegen – wie ausgeführt – derzeit nicht vor.

Vor diesem Hintergrund kann dem Wortlaut von § 6 Abs. 1 SortG keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, vielmehr ist eine völkerrechtskonforme Auslegung der Norm geboten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, das die Betätigung staatlicher Souveränität durch Völkervertragsrecht und internationale Zusammenarbeit fördert, die Verpflichtung der staatlichen Organe, das nationale Recht so anzuwenden, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Nachdem völkerrechtliche Verträge, denen der Gesetzgeber zugestimmt hat, im Range eines Bundesgesetzes stehen, haben die Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden.

Die Möglichkeiten einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung enden allerdings dort, wo diese nach anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint. Eine völkerrechtskonforme Auslegung ist insbesondere dann nicht möglich, wenn ihr der Wortlaut und der klare Wille des Gesetzgebers entgegenstehen. Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, weil der Gesetzgeber, wie dargelegt, die Absicht hatte, das Sortenschutzgesetz an die Regelungen des revidierten Übereinkommens anzupassen.

§ 6 Abs. 1 SortG ist mithin – solange die in Art. 6 Abs. 3 des Übereinkommens aufgestellten Voraussetzungen für eine abweichende Bestimmung des Hoheitsgebiets noch nicht vorliegen – dahin auszulegen, dass eine Sorte als neu gilt, wenn Pflanzen oder Pflanzenteile der Sorte mit Zustimmung des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers vor dem Antragstag nicht oder nur innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr im Inland oder von vier Jahren (bei Reben und Baumarten sechs Jahren) im Ausland zu gewerblichen Zwecken an andere abgegeben worden sind.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Januar 2014 – X ZB 18/12